Leitartikel22. Januar 2022

Nebelschleier über der Arbeitswelt

von Ali Ruckert

Die Arbeitswelt gehört zu den Themen, die in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend ausgeklammert bleiben, da die Herrschenden kein Interesse daran haben, dass die tatsächlichen Verhältnisse, die keineswegs schmeichelhaft für das bestehende System sind, ans Tageslicht kommen und zu gesellschaftlichen Diskussionen Anlass geben.

Das erklärt, weshalb die negativen Folgen der kapitalistischen Ausbeutung und die Realität in den Betrieben kaum in den bürgerlichen Medien und staatlichen Institutionen wie der Chamber thematisiert werden. Erst recht wird nicht über die Ursachen dieser Entwicklung geredet oder geschrieben, und darüber, wie verhindert werden kann, dass sich diese für die Lohnabhängigen katastrophalen Verhältnisse immer wieder reproduzieren.

Dazu zählt auch, dass die Besitzverhältnisse in der Wirtschaft systematisch ausgeklammert werden, obwohl genau diese Frage entscheidend für die Nebenwirkungen ist, die sich auf der Jagd nach Maximalprofiten einstellen.

Eine der Veröffentlichungen, die dazu beitragen, einen Teil der Nebelschleier über der Arbeitswelt zu lüften, ist der Index der Qualität der Arbeit, der von der »Chambre des salariés« in Zusammenarbeit mit der Uni Luxemburg erstellt wird.

 Daraus geht unter anderem hervor, dass zunehmend mehr Lohnabhängige unzufrieden sind mit den bestehenden Arbeitsverhältnissen. Das hängt damit zusammen, dass sie sich immer stärkeren mentalen Belastungen und einem wachsenden Zeitdruck ausgesetzt sehen, was für viele über kurz oder lang dazu führt, dass ihre Arbeitsmotivation sinkt, und sie mit Gesundheitsproblemen und Depressionen zu kämpfen haben. Hinzu kommen oft prekäre Lohnverhältnisse und wachsende Konflikte zwischen Arbeits- und Familienleben, die als Katalysator wirken.

Zu den vielen Ursachen, die dazu führen, dass Lohnabhängige sich zunehmend unter Druck gesetzt fühlen und an Motivation verlieren, zählt, dass in sehr vielen Betrieben immer weniger Belegschaftsmitglieder immer schneller arbeiten und mehr produzieren müssen, dass sie aber wenig, beziehungsweise kein Mitspracherecht haben, und die Bezahlung nicht mit der wachsenden Produktivität mithält, weil die Stundenlöhne zu niedrig und die Überstunden nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang bezahlt werden. Andererseits fließt der weitaus größere Anteil des produzierten Mehrwerts in die Taschen von wenigen Aktionären. In anderen Worten: Die Entwicklung in der Arbeitswelt geht in die falsche Richtung.

Wie aber auf diese Schieflage reagieren? Man kann natürlich den Kopf in den Sand stecken und das alles als gott- beziehungsweise kapitalgegeben hinnehmen. Man kann aber auch entscheiden, sich besser über die Ereignisse in der Arbeitswelt zu informieren – zum Beispiel über die »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« – und beschließen, sich für die eigenen sozialen Interessen zur Wehr zu setzen, am besten zusammen mit anderen in der Gewerkschaft, um bessere Arbeits- und Lohnbedingungen durchzusetzen.

Man kann aber auch entscheiden, dass es nicht genügt, die Folgen der Ausbeutung, wie sie teilweise vom Index der Qualität der Arbeit beschrieben werden, zu beseitigen, sondern die Ausbeutung selbst. Dazu ist es notwendig, die herrschenden Verhältnisse in der Arbeitswelt und der Gesellschaft grundlegend in Frage zu stellen und auf politischer Ebene tätig zu werden, zum Beispiel in der Kommunistischen Partei.

Ganz von selbst wird keine Veränderung kommen, und wer auf den »lieben Sozialpartner« zählt, kann bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten.